Interview Prof. Dr.-Ing. Hartwig M. Künzel

Leiter der Abteilung Hygrothermik, Institut für Akustik und Bauphysik

Über Schimmelpilze, umgangssprachlich oft nur als Schimmel bezeichnet, kursieren viele unterschiedliche und widersprüchliche Informationen. Die wenigsten von ihnen sind wissenschaftlich erwiesen. Gerade unter betroffenen Mietern hat man oft den Eindruck, dass Aussagen über Schimmelpilze in Innenräumen und deren Ursachen pauschalisiert und nicht selten ausschließlich der modernen Bauweise einer energieeffizienten Gebäudehülle zugewiesen werden. Das „Gespenst der luftdichten Thermohaut“ macht die Runde, obwohl eine Wärmedämmung der Fassade und Wärmeschutzverglasung der Fenster mehr Lösung als Problem darstellt und großzügig darüber hinweggeschaut wird, dass das Wohn- und Lüftungsverhalten der Bewohner selten der veränderten Bauweise angepasst wird. Bauphysikalische Gesetzmäßigkeiten sind der Grund dafür, warum in einigen Wohnungen Schimmelpilze auftreten und gleichzeitig – dies wird oft vergessen – in den meisten Wohnungen eben nicht auftreten. Darüber und über andere Aspekte sprachen wir mit Herrn Prof. Dr.-Ing. Hartwig Künzel, Abteilungsleiter Hygrothermik am renommierten Fraunhofer Institut für Bauphysik, langjähriger Obmann des Normungsausschusses Feuchte, über die Landesgrenzen hinaus anerkannter Experte für Bauphysik und Autor vieler Fachpublikationen.

„Wände können nicht atmen, d. h. es geht keine Luft durch eine verputzte Wand. Auch ein Wärmedämm-Verbundsystem ändert an dieser Situation nichts. “

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Lieber Herr Prof. Dr. Künzel, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen und uns einige Fragen beantworten, um das Thema Schimmelpilze in Innenräumen zu versachlichen. Als eine der Hauptursachen für das Auftreten von Schimmelpilzen in Innenräumen wird die luftdichte Gebäudehülle gesehen, die aus einer Wärmedämmung der Fassade und Wärmeschutzverglasung der Fenster besteht. Ist ein Wärmedämm-Verbundsystem aus Ihrer Sicht die Ursache für Schimmelpilzbefall in Innenräumen oder die Lösung?

Wärmedämm-Verbundsysteme (kurz WDVS) funktionieren wie ein warmer, vor Regen schützender Mantel für das Gebäude. Durch das Aufbringen eines WDVS werden Temperaturschwankungen in der Baukonstruktion, verursacht durch jahreszeitliche Temperaturunterschiede (Sommer/Winter sowie Tag/Nacht-Wechsel), vermieden. Infolgedessen unterliegt die Baukonstruktion deutlich weniger hygrothermischen Einflüssen als eine nicht gedämmte Fassade. Außerdem erhöht sich die Oberflächentemperatur der Innenwände und trägt somit zu Behaglichkeit von Innenräumen bei. Hinzu kommt, dass Heizenergie und somit Energiekosten gespart werden. Bei der Diskussion um Wärmedämm-Verbundsysteme kommt mir darüber hinaus oft zu kurz, dass mit der Außendämmung auch evtl. vorhandene Wärmebrücken überdämmt und somit entschärft werden. Im Gegensatz zur allgemeinen Wahrnehmung sind WDVS damit nicht das Problem oder die Ursache, sondern eine nachhaltige Lösung, um taupunktbedingtes Kondenswasser als Ursache für Schimmelpilzbefall in Innenräumen zu vermeiden. Dies ist nicht nur bauphysikalisch erwiesen, sondern hat auch eine Umfrage unter Bausachverständigen ergeben. Außerdem schützt das Aufbringen eines WDVS z. B. auch die Köpfe von Holzbalkendecken, deren Langzeitfunktion ohne eine Wärmedämmung und einen ausreichenden Regenschutz gefährdet ist. Das Gleiche gilt auch für korrodierende Betonwände, denn die Korrosion kann durch das Aufbringen eines WDVS dauerhaft gestoppt werden.

Die Wärmedämmung eines WDVS steht außer Frage, aber wie verhält sich diese Fassadendämmung in Bezug auf die Luftdichtheit der Gebäudehülle und welche Auswirkungen hat diese bei einem unveränderten Lüftungsverhalten der Bewohner?

Das Wärmedämm-Verbundsystem ist nicht das Problem in Bezug auf die Luftdichtheit eines Gebäudes. Im Gegenteil, dazu sind andere Maßnahmen notwendig, wie z. B. eine Putzschicht bei Mauerwerk oder eine raumseitige Luftdichtheitsschicht im Holzbau. Der Einbau neuer Fenster mit einer Wärmeschutzverglasung hat dagegen einen großen Einfluss auf die Luftdichtheit der Gebäudehülle. Dadurch wird auch die Raumluftfeuchte im Vergleich zum Zustand mit alten Fenstern gesteigert, was dem menschlichen Komfortempfinden im Winter entgegenkommt.

Wie meinen Sie das?

Trockene Luft trocknet bekanntlich die Schleimhäute aus und führt zu einer höheren Staubbelastung der Raumluft. Höhere Luftfeuchtigkeit hat somit, vom Risiko eines möglichen Schimmelpilzbefalls mal abgesehen, auch Vorteile für die Behaglichkeit in Innenräumen.

Heißt das, dass moderne Fenster mit einer Wärmeschutzverglasung das eigentliche Problem sind?

Das kann man so nicht sagen. Wenn der Einbau neuer Fenster in ein ganzheitliches Wärmeschutzkonzept eingebettet wird, bilden sich in der Regel auch keine Schimmelpilze – und wenn doch, haben diese nicht ihre Ursachen in den neuen Fenstern. Das Problem ist vielmehr, dass sich Eigentümer von Immobilien häufig zwischen einer Außendämmung oder dem Einbau neuer Fenster für Letztere entscheiden und somit erheblich in die Bauphysik einer Gebäudehülle und deren Auswirkungen auf das Raumklima in Innenräumen eingreifen. Schließlich verschiebt sich dadurch in vielen Fällen der kälteste Punkt im Raum: vom alten Fenster – gut zu erkennen am Kondenswasser auf Einfachverglasung, auf Gummidichtungen zwischen Fensterscheibe und Fensterrahmen oder an den Fensterlaibungen – z. B. zu Innenecken nicht gedämmter Außenwände. Das Risiko, dass es durch den Austausch von Fenstern zu einer vermehrten Schimmelpilzbildung in Innenräumen kommt, nimmt deutlich zu, wenn nicht gleichzeitig weitere Maßnahmen ergriffen werden. Dazu gehören entweder der Einbau einer Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, um die Reduktion des natürlichen Luftwechsels durch die dichten Fenster zu kompensieren, oder besser, eine energetische Sanierung der Gebäudehülle, z. B. durch das Aufbringen eines Wärmedämm-Verbundsystems. Untersuchungen am Fraunhofer Institut für Bauphysik (IBP) mit validierten WUFI-Berechnungen haben gezeigt, dass der Einbau neuer Fenster ohne energetische Ertüchtigung der Wände vor allem in den Innenecken und hinter Schränken zu erhöhtem Schimmelpilzbefall führt. Und wir haben noch eine weitere Beobachtung gemacht.

Welche?

Wenn die Gebäudehülle nicht wärmegedämmt ist, können selbst offene Türen zwischen Innenräumen mit unterschiedlichen Raumtemperaturen ein hygienisches Problem darstellen. Der Luftaustausch innerhalb der Innenräume kann zu einem taupunktbedingtem Kondenswasser an Wärmebrücken führen, wenn feucht-warme Raumluft z. B. aus innenliegenden Bädern ohne Fensterlüftung auf kühle Oberflächen an Wärmebrücken trifft. Ist die gesamte Gebäudehülle dagegen gedämmt, können Türen ohne Risko offen bleiben. Im Gegenteil; häufig wird unterschätzt, dass sich das Raumvolumen innerhalb der Wohnung erhöht, wenn die Türen innerhalb der Räume offenstehen. Somit stellt sich die Sättigungsfeuchte im Raum deutlich später bis gar nicht ein, im Gegensatz zu kleineren und geschlossenen Innenräumen.

Kommen wir zu einem Mythos, der Sie Ihr gesamtes berufliches Leben bisher begleitet hat: atmende Wände. Erklären Sie uns bitte, was es damit auf sich hat.

Wände können nicht atmen, d. h. es geht keine Luft durch eine verputzte Wand. Auch ein Wärmedämm-Verbundsystem ändert an dieser Situation nichts. Wenn ein Luftaustausch stattfindet, dann erfolgt dieser über Leckagen bei Fensteranschlüssen oder Durchdringungen oder durch versprödete Fensterdichtungen (natürlicher Luftwechsel). Für die Bewohner ist der natürliche Luftwechsel in der Regel zu gering, d. h. es muss zusätzlich gelüftet werden, entweder durch eine Lüftungsanlage oder durch das bewusste Öffnen der Fenster.

Sie liefern das nächste Stichwort: Leckagen durch Undichtigkeiten oder Durchdringungen. Diese können u. U. konvektive Luftströmungen innerhalb der Baukonstruktion und somit Tauwasser verursachen und darüber hinaus als unangenehm wahrgenommen werden. Kann eine Außendämmung dem vorbeugen?

Ja, durch ein Wärmedämm-Verbundsystem werden mögliche Undichtigkeiten der Gebäudehülle sowie an Bauteilübergängen wie z. B. Rollladenkästen und dgl. überdämmt. Dadurch werden nicht nur Wärmebrücken vermieden, sondern auch kritische Leckagebereiche erwärmt, so dass durch konvektive Luftströmungen innerhalb der Baukonstruktion Tauwasserbildung vermieden wird.

Kommen wir noch zu einem anderen Thema; es geht um mikrobiellen Befall auf der Fassade. Die Diskussion, welche Bauweise besser geeignet ist, um Algen und Pilze auf der Fassade zu vermeiden, erinnert oft an eine ideologische Auseinandersetzung und weniger um eine technische Diskussion auf Basis bauphysikalischer Fakten.

Was meinen Sie konkret?

Die Auseinandersetzung, ob ein hoch wärmedämmendes Mauerwerk weniger von Algen und Pilze befallen wird als ein WDVS oder ob organisch gebundene Putze leichter befallen werden als mineralische Putze. Gibt es aus Ihrer Sicht bevorzugte Untergründe oder Bauweisen für mikrobiellen Befall?

Freilandversuche zum mikrobiellen Befall von Außenwänden haben gezeigt, dass alle Außenwandaufbauten und Putzsysteme ohne Biozide betroffen sein können. Das gilt vor allem für die Wetterseite. Auf der Nordseite stellt die nächtliche Tauwasserbildung das größte Risiko für das Wachstum von Algen und Schwärzepilzen dar. Dabei sind sehr leichte Systeme mit dünnen Putzschichten etwas stärker betroffen als Systeme mit einer höheren thermischen Trägheit. Entscheidender als das Dämmsystem ist allerdings die Lage des Gebäudes. Standorte in der Nähe von Gewässern oder am Ortsrand sind stärker betroffen als Lagen im Zentrum einer Stadt. Mikrobieller Befall durch Algen und Pilze ist zwar nicht schön, stellt aber im technischen Sinne keinen Baumangel dar, da die Wärmedämmwirkung der Wand dadurch nicht beeinflusst wird. Eine biozidfreie Maßnahme zur Verhinderung von Fassadenbewuchs durch nächtliche Oberflächenbetauung ist das Aufbringen eines Anstrichs, der ähnlich wie Metalle, geringe langwellige Abstrahlung aufweist. Dadurch kommt es viel seltener zur Tauwasserbildung und damit auch weniger zur Bildung von Algen und Pilze.

Eine ähnliche Auseinandersetzung – dieses Mal eher auf technischer Ebene – gibt es in der Frage, ob hoch hydrophobe und doch eher hydrophile Oberflächen besser geeignet sind, um das Wachstum von Algen und Pilze zu vermeiden oder zumindest zu verzögern?

Hydrophobe Fassaden sind ein wesentlicher Beitrag zum modernen Feuchteschutz von Baukonstruktionen. Hydrophile Fassadenoberflächen können zwar bei nächtlicher Betauung einen Teil des Tauwassers aufsaugen und damit den Algen und Pilzen entziehen. Allerdings muss gewährleistet sein, dass dieses Wasser tagsüber wieder zurücktrocknet. Bei Fassaden, die durch Schlagregen beansprucht werden, sind hydrophile Fassaden eher kontraproduktiv, weil sie mehr Regenwasser zurückhalten als hydrophobe. Die Frage ist auch, wie lange die Außenputze so hydrophil bleiben, da der Schlagregen mit der Zeit eine Veränderung der Wasseraufnahme von Außenputzen verursacht, wie Langzeit-Bewitterungsversuche im Freiland gezeigt haben. Da es wenig sinnvoll und praxisgerecht ist, die Putzeigenschaften je nach Orientierung zu variieren, bin ich persönlich kein Freund von solchen Systemen. Wichtiger erscheint mir darauf zu achten, dass im Putz keine Stoffe vorhanden sind, die das mikrobielle Wachstum fördern könnten.

Sie meinen eine Rezepturoptimierung vor der Zugabe biozider Wirkstoffe?

Genau das meine ich.

Abschließend eine absolut ernst gemeinte Frage, auch wenn diese mit einem Augenzwinkern gestellt wird: Brauchen wir aus bauphysikalischer Sicht eine Gebrauchsanleitung für Immobilien?

In jedem Auto liegt eine Gebrauchsanweisung und vor der Benutzung eines elektrischen Gerätes wird das Lesen der Gebrauchsanweisung und vor allem der Sicherheitshinweise empfohlen. Bei Gebäuden geht man davon aus, dass alle von Kindheit an wissen, wie man ein Haus bewohnt und wie die Innenräume richtig belüftet werden. Eventuell gibt es noch eine Gebrauchsanweisung für die Heizung, aber keine für die Lüftung oder was man nach dem Kochen und Duschen am besten macht. Letzteres scheinen die meisten Menschen wohl automatisch richtig zu machen, denn obwohl in Küchen und Bädern viel Feuchte produziert wird, gibt es dort relativ wenig Schimmelpilzprobleme, dafür umso mehr in Schlaf- und Kinderzimmern. Deshalb wurde von meinem Vater bereits in den 1980er Jahren eine kurze Broschüre zum richtigen Heizen und Lüften in Wohnungen herausgebracht, die inzwischen in der 6. Auflage erschienen ist.

Lieber Herr Prof. Dr. Künzel, wir danken Ihnen recht herzlich für dieses spannende Interview.