Interview Prof. Dr. Wiesmüller

Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin Zusatzbezeichnung Umweltmedizin Reisemedizinische Gesundheitsberatung

Über Schimmelpilze, umgangssprachlich oft nur als Schimmel bezeichnet, kursieren viele unterschiedliche und widersprüchliche Informationen. Die wenigsten von ihnen sind wissenschaftlich erwiesen. Gerade unter Bausachverständigen hat man oft den Eindruck, dass Aussagen über Schimmelpilze in Innenräumen und deren Auswirkungen auf die Wohngesundheit pauschalisiert und nicht selten in ihrer Wirkung überzogen werden. Dies verursacht Ängste unter den Betroffenen und Unsicherheit unter allen Beteiligten. Darüber und über andere Aspekte sprachen wir mit Herrn Prof. Dr. med. Gerhard Wiesmüller, anerkannter Experte und Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin, Vizepräsident der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin sowie Mitherausgeber der AWMF-Leitlinie „Medizinisch klinische Diagnostik bei Schimmelpilzexposition in Innenräumen“.

„Aktuell kann kein eindeutiger Nachweis geführt werden, dass ein bestimmter Schimmelpilz bzw. eine bestimmte Konzentration einer Schimmelpilzart ein bestimmtes Krankheitsbild verursacht bzw. gesundheitliche Beschwerden dieser Exposition zugeordnet werden kann.“

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Lieber Herr Professor Wiesmüller, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen und uns einige Fragen beantworten, um das Thema Schimmelpilze in Innenräumen zu versachlichen. Können Sie uns sagen, welche Gefahr denn überhaupt von Schimmelpilzen in Innenräumen ausgehen?

Diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden und wird durch eine Vielzahl ganz unterschiedlicher und individueller Aspekte beeinflusst. Schließlich haben Schimmelpilze im ökologischen Sinne vielfältige nützliche Funktionen und kommen als ganz natürliche Bestandteile der Umwelt überall vor – in der Außenluft genauso wie in Innenräumen. Daher gibt es auch keine “schimmelpilzfreien Innenräume”, wie dies durch manche Diskussionen über Art und Umfang von Sanierungsmaßnahmen gelegentlich suggeriert wird. Im Übrigen sollte dies auch nicht angestrebt werden.

Wie meinen Sie das?

Bakterien, Pilze, Schimmelpilze, andere Mikroorganismen und Viren haben eine wichtige Funktion für das regelmäßige Training unseres Immunsystems.

Heißt das, dass das Thema Schimmelpilze in Innenräumen völlig überschätzt wird und sich viele Menschen unnötig Sorgen machen?

Nein, so einfach kann man das nicht sagen. Nicht ohne Grund hat das Umweltbundesamt in seinem aktuellen Leitfaden „Zur Vorbeugung, Erfassung und Sanierung von Schimmelbefall in Gebäuden“ Schimmelwachstum in Innenräumen als hygienisches Problem eingestuft, von dem ein Gesundheitsrisiko ausgehen kann und deshalb empfohlen, Schimmelbefall in Innenräumen nach dem Prinzip der Vorsorge unbedingt zu minimieren bzw. zu entfernen. Die Betonung liegt auf „kann“, denn nicht von jedem Schimmelbefall geht automatisch ein Risiko für die Gesundheit aus. Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Auftreten von innenraumtypischen Schimmelpilzen und konkreten Erkrankungen der Raumnutzer/innen kann nicht eindeutig hergestellt werden. Aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse geht man davon aus, dass Schimmelpilze geruchliche Wirkungen, Beeinträchtigungen des Wohlbefindens (so genannte Befindlichkeitsstörungen), reizende / irritativ-toxische Effekte, sensibilisierende und allergische Reaktionen bis hin zu Infektionen verursacht werden können. Auch hier liegt die Betonung auf „können“, denn die Aussage darf nicht verallgemeinert werden.

Können Sie das bitte kurz erläutern.

Bei der Bewertung von Innenraumbelastungen durch Schimmelpilze müssen mehrere Aspekte betrachtet werden.
Zum einen gehören Schimmelpilze zu einer sehr heterogenen Gruppe von Mikroorganismen. Hierbei gibt es beispielsweise Schimmelpilzarten, die eher Infektionen oder eher Allergien auslösen als andere Schimmelpilzarten. Weiterhin muss die Konzentration von Schimmelpilzen bzw. der Biomasse des Schimmelbefalls betrachtet werden. Bei der Ausbildung von Hyphengeflechten und Sporen kann es zu hygienisch relevanten Auswirkungen auf die Raumluft kommen. Hierzu gehören z. B. muffige, erdige, schimmelige Gerüche. Es kann auch zur Freisetzung von luftgetragenen, potenziell infektiösen bzw. potenziell allergenen Sporen und immunologisch relevanten Zellfragmenten kommen. Ebenso können verschiedene Stoffwechselprodukte freigesetzt werden. Die Gesamtheit der Innenraumluftbelastung mit diesen Komponenten wird als Bioaerosol bezeichnet. Im bereits erwähnten Leitfaden des Umweltbundesamtes gibt es hierzu wertvolle Orientierungs- und Bewertungshilfen.
Zum anderen sind „typische“ Symptome bei Feuchte-/Schimmelschäden im Innenraum eher unspezifisch und können auch anderen Schadstoffen und Umwelteinflüssen zugerechnet werden. Zumal Schimmelpilze bei Feuchte-/Schimmelschäden in Innenräumen nicht isoliert auftreten, sondern auch weitere Mikroorganismen wie z. B. Bakterien und Kleinstlebewesen wie z. B. Milben vorhanden sein können. Ebenso können Erkrankungen der Raumnutzer/innen sowie Einflüsse, die außerhalb der eigenen vier Wände liegen, gleiche Symptome verursachen. Kurzum: Es gibt keine kausale Eins-zu-Eins-Beziehung zwischen dem Auftreten eines Schimmelbefalls in Innenräumen und Erkrankung, egal ob akut oder chronisch. Bisher liegen keine quantitativen Dosis-Wirkung-Beziehungen vor, so dass auch keine entsprechend validen Referenz- oder Grenzwerte für Innenräume abgeleitet werden können.

Welche Rolle spielt der individuelle Gesundheitszustand der Menschen?

Art und Umfang von Gesundheitsbeschwerden werden nicht allein durch das Auftreten von Schimmelpilzsporen und anderen mikrobiellen Bestandteilen, deren Stoffwechselprodukte und/oder Fragmente bestimmt. Daraus möglicherweise resultierende gesundheitliche Beeinträchtigungen hängen von der Expositionsdauer, -intensität und maßgeblich der individuellen Empfänglichkeit, also dem Gesundheitszustand der Raumnutzer/-innen, ab. Die so genannte Disposition spielt eine entscheidende Rolle und beantwortet die Frage, warum einige Menschen z. B. auf Schimmelpilze allergisch reagieren und andere eben nicht. Aus diesem Grunde werden die Menschen mit besonderer Disposition in Risikogruppen für mögliche gesundheitliche Wirkungen von Schimmelpilzen eingeteilt wie z. B. immungeschwächte Personen, Personen mit Mukoviszidose (zystischer Fibrose) und Personen mit Asthma.

Welche Erkenntnisse werden heute als gesichert angesehen?

Wie schon gesagt, geht man aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen davon aus, dass Schimmelpilze geruchliche Wirkungen, Befindlichkeitsstörungen, reizende / irritativ-toxische Effekte, sensibilisierende und allergische Reaktionen bis hin zu Infektionen verursachen können. Voraussetzung für diese möglichen gesundheitlichen Wirkungen sind entsprechende Dispositionen bei den von Feuchte-/Schimmelbefall betroffenen Personen. Allerdings sind wissenschaftlich abgesicherte Aussagen über eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der Innenraumbelastung mit Bestandteilen eines Schimmelbefalls einerseits und dem Auftreten von gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Raumnutzer/-innen andererseits nach aktuellem Wissensstand nicht möglich. Deshalb gibt es auch keine wissenschaftlich abgesicherten Referenz- bzw. Grenzwerte für mikrobielle Belastungen von Innenräumen. Die Tatsache, dass Schimmelpilze überall in unserer Umwelt vorhanden sind, Vielfalt und Unterschiede der Komponenten von Schimmel und multiple Einflussfaktoren auf Schimmel, die individuelle Nutzung von Innenräumen durch den Menschen mit seiner individuellen Disposition sind Gründe, weshalb auch in Zukunft Richt- und Grenzwerte nicht zur Verfügung stehen werden können.

Heißt das in der Kurzform, dass es aktuell nicht möglich ist, einen eindeutigen Nachweis zu führen, dass ein bestimmter Schimmelpilz und/oder eine bestimmte Konzentration einer Schimmelpilzart ein bestimmtes Krankheitsbild verursacht bzw. gesundheitliche Beschwerden eindeutig zugeordnet werden können?

Ganz genau, besser hätte ich es nicht ausdrücken können.

Schimmelpilze stehen im Verdacht, sensibilisierend zu wirken und allergische Reaktionen wie z. B. allergische Rhinitis oder Asthma auszulösen. Gibt es neben diesen allergischen Reaktionen weitere Symptome?

Neben möglichen sensibilisierenden und allergischen Reaktionen können bei Feuchte-/Schimmelschäden im Innenraum Reizungen der Schleimhäute der Augen und Atemwege sowie Befindlichkeitsstörungen z. B. über eine geruchliche oder visuelle Wahrnehmung eines Schimmelbefalls auftreten.

Welche Bedeutung haben in dem Zusammenhang die Stoffwechselprodukte der Mikroorganismen wie MVOC oder Mykotoxine, denen oft eine toxische Wirkung nachgesagt wird?

Mikrobielle flüchtige organische Verbindungen, kurz MVOC (Engl. Microbial Volatile Organic Compounds) genannt, können zu dem typischen Geruch bei Feuchte-/Schimmelschäden beitragen. Hierbei muss aber berücksichtigt werden, dass für viele MVOC neben mikrobiellen Quellen auch andere Innenraumquellen wie z. B. Tabakrauch, Kochen, Backen, Braten, Erde in Topfpflanzen, Komposteimer existieren. Ungeklärt ist bisher, ob von MVOC in den in Innenräumen vorkommenden Konzentrationen im unteren µg/m³-Bereich biologische Signalwirkungen ausgehen. Über geruchliche Wahrnehmung ausgelöste unspezifische Beschwerden sind möglich, toxische Reaktionen sind hingegen unwahrscheinlich.
Vergiftungen durch Mykotoxine (so genannte Mykotoxikosen) sind bei Aufnahme sehr hoher Konzentrationen über die Luft oder über die Haut, wie sie an entsprechenden Arbeitsplätzen ohne ausreichende Schutzmaßnahmen vorkommen können, beschrieben. Zu Vergiftungen durch Mykotoxine über die Luft im Innenraum liegt hingegen bisher kein gesichertes Wissen vor. Es besteht weiterer Klärungsbedarf, ob die in der Innenraumluft entstehenden Mykotoxin-Konzentrationen systemisch toxikologisch relevant sind. Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen scheint dies in der Regel nicht der Fall zu sein.

Ab und zu liest man, dass durch bestimmte Schimmelpilzarten auch Infektionen verursacht werden können. Wie real ist diese Gefahr in Innenräumen?

Invasive Schimmelpilz-Infektionen sind selten und erfolgen am ehesten über den Luft-Pfad. Betroffen sind ganz überwiegend Personen mit allgemeiner starker oder sehr starker Immunschwäche. Diese Personen befinden sich im Regelfall im Krankenhaus.

Zum Schluss noch ein anderes Thema. Gesundheitliche Beschwerden können nicht nur durch den mikrobiellen Befall ausgelöst werden, sondern auch durch die Beseitigung – der Schimmelpilzsanierung. Ein Streitthema hierbei ist immer wieder der Einsatz von Bioziden in Form von Desinfektionsmitteln. Und obwohl das Umweltbundesamt den Einsatz in Innenräumen ablehnt, werden diese von Sanierungsfirmen eingesetzt. Wie gefährlich sind aus Ihrer Sicht Biozide wie z. B. Desinfektionsmittel?

Eine Desinfektion wird durchgeführt, um Krankheitserreger so weit abzutöten, dass sie keine Infektion mehr auslösen können. Beim Einsatz von Bioziden in seltenen Ausnahmefällen handelt es sich nicht um eine Desinfektion, auch wenn Biozide als Desinfektionsmittel gelistet sind. Denn hier geht es nicht um eine Infektionsvermeidung, sondern um eine Verzögerung des weiteren Schimmelwachstums. Bei der Sanierung von mikrobiellen Schäden ist eine Biozidbehandlung grundsätzlich nicht notwendig, weil sie für eine sachgerechte Beseitigung der Biomasse und der Sanierung der Schadensursache nicht geeignet ist. Zudem kann es bei der Anwendung von Bioziden zu gesundheitlichen Risiken kommen. Daher schließe ich mich der Empfehlung des Umweltbundesamtes an.

Haben Sie abschließend noch eine Botschaft an alle, die in der Schimmelpilzdiagnostik und -bewertung tätig sind und eine hohe Verantwortung tragen?

Schimmelpilz-Messungen in den betroffenen Innenräumen sind im Regelfall zur weiteren medizinischen Abklärung nicht erforderlich. Bei einem begründeten Verdacht auf Schimmel-assoziierte Erkrankungen sollten die entsprechenden Fachärzte-/innen (Allergologe, Umweltmedizin, Pneumologie, HNO etc.) einbezogen werden.

Zu ihrer Information steht die aktualisierte AWMF-Schimmelpilzleitlinie „Medizinisch klinische Diagnostik bei Schimmelpilzexposition in Innenräumen“ frei zur Verfügung unter

Eine Information für Betroffene steht frei zur Verfügung unter

Lieber Herr Professor Wiesmüller, wir danken Ihnen recht herzlich für dieses spannende Interview.