Sanierung

anstrichtechnische Risssanierung

Putzbedingte Risse werden putztechnisch oder anstrichtechnisch instandgesetzt. Bei der anstrichtechnischen Risssanierung werden ein- oder mehrlagige, elastische bis hoch elastische Beschichtungssysteme mit oder ohne Vlieseinlage eingesetzt. Im Gegensatz zur putztechnischen Risssanierung gibt es mit der DIN EN 1062-7 „Beschichtungsstoffe und Beschichtungssysteme für mineralische Substrate und Beton im Außenbereich – Teil 7: Bestimmung der rissüberbrückenden Eigenschaften“ bei der anstrichtechnischen Risssanierung eine Norm. Diese gibt die rissüberbrückenden Eigenschaften der Rissklassen A1 bis A5 wieder.

Mit herkömmlichen Siliconharz- oder Silikatfarben werden die Anforderungen der DIN EN 1062-7 nicht erfüllt, da die Rissüberbrückungsfähigkeit dieser Beschichtungsstoffe unter 100 µm liegt. In beiden Fällen liegt dies an einem starren Bindemittelfilm.

Bei klassischen Siliconharzfarben finden parallel zur physikalischen Trocknung verschiedene chemische Vernetzungsreaktionen statt. Hierbei verbinden sich die Makromoleküle des Siliconharz an mehreren Stellen zu einem für Siliconharz typisches trifunktionellen Netzwerk (Quarzgitter). Im Gegensatz zu Dispersionsfarben liegt bei Siliconharzfarben nach der Trocknung kein geschlossener Film vor. Dieses offenporige, mikroporöse Gefüge ist für die hohe Wasserdampf Als Wasserdampf wird das in der Erdatmosphäre im gasförmigen Aggregatzustand enthaltene nicht sichtbare Wasser bezeichnet. In die Luft gelangt Wasserdampf - und CO2-Durchlässigkeit verantwortlich, aber gleichzeitig auch für deren fehlende Elastizität. Ähnlich verhält es sich bei den Silikatfarben. Wasserglas als Bindemittel reagiert mit dem in der Luft befindlichen Kohlendioxid zu einem polymeren Silikatgerüst. Man kennt diese chemische Reaktion unter dem Begriff Verkieselung. Im Gegensatz zu Dispersions- und Siliconharzfarben gehen Silikatfarben mit dem Untergrund eine chemische Verbindung ein. Infolgedessen fehlt ihnen die Elastizität für eine rissüberbrückende Beschichtung. Aufgrund ihrer sehr hohen Wasserdampf- und CO2-Diffusionsfähigkeit eignen sie sich besonders gut für kalkreiche Untergründe, so dass diese Beschichtungsstoffe häufig zum Verschlämmen von beruhigten Rissen eingesetzt werden. Elastische und gleichzeitig wasserdampfdiffusionsoffene Beschichtungsstoffe sind ein technischer Widerspruch.

Herkömmliche Dispersionsfarben erfüllen in der Regel die Rissklasse A1 und können Risse > 100 µm überbrücken. Die Elastizität der Filmeigenschaften nach der Trocknung wird hierbei wesentlich von den eingesetzten Bindemitteln (verschiedene Acrylate) beeinflusst. Mit einer Vlieseinbettung können diese Beschichtungsstoffe die Rissklasse A2 erfüllen. Um Risse mit einer Rissbreitenänderung von über 500 µm überbrücken zu können, sind elastische Dispersionsfarben notwendig. Wird in diese Beschichtungsstoffe ein Vlies eingebettet, können Risse mit einer Rissbreitenänderung > 1250 µm überbrückt werden. Die Rissklasse A5 mit einer Rissüberbrückung von mehr als 2500 µm wird durch spezielle kälteelastische Dispersionsfarben erfüllt. Diese Beschichtungsstoffe wurden früher auch als „Gummihaut“ bezeichnet und erreichen ihre hohe Elastizität durch einen sehr hohen Bindemittelanteil. Bereits ohne zusätzliche Armierung (Vlies) können Risse von über 2,5 mm überbrückt werden. In Verbindung mit einer Vlieseinlage können die hochelastischen Dispersionsfarben auch Rissbreiten bis 5 mm überbrücken.

Ihr größter Vorteil ist gleichzeitig ihr größter Nachteil. Durch den hohen Bindemittelanteil haben die kälteelastischen Dispersionsfarben eine hohe Verschmutzungsneigung und einen hohen Diffusionswiderstand gegenüber Wasserdampf und Kohlendioxid. Ein Einsatz auf feuchten Untergründen und kalkreichen Putzen scheidet somit aus. Darüber hinaus müssen Hinterfeuchtungen (z. B. an Anschlüssen) unbedingt vermieden werden, da sich sonst zwischen Untergrund und Beschichtung regelrechte Wasserblasen bilden. Außerdem bauen diese elastischen Beschichtungen eine hohe Eigenspannung auf, so dass die Haftung zum Untergrund gegeben sein muss. Anderenfalls kommt es zu einem Abscheren („Abpellen“) der Beschichtung.

Für die anstrichtechnische Risssanierung hat die Kälteelastizität der Beschichtungsstoffe eine hohe Bedeutung. Ursächlich hierfür sind die Temperaturschwankungen an einer Fassade, über den gesamten Jahresverlauf betrachtet: im Tag-Nacht-Wechsel sowie Sommer-Winter-Zyklus kann der Temperaturbereich einer Fassadenoberfläche zwischen -20 °C bis 70 °C liegen, im oberen Temperaturbereich abhängig vom Hellbezugswert des Farbtons. Die dadurch verursachten hygrothermisch bedingten Rissbreitenänderungen müssen durch die Elastizität der Beschichtung überbrückt werden. Gerade bei Minustemperaturen nehmen die Rissbreiten zu und die Verformungsfähigkeit elastischer Beschichtungen ab. Ursächlich hierfür ist die so genannte Glasübergangstemperatur (Temperaturbereich, in dem ein amorphes Polymer von einem weichen/plastischen Zustand in einen harten/glasartigen Zustand übergeht). Diese hat unmittelbare Auswirkungen auf die Elastizität und Zugfestigkeit sowie den E-Modul. Deshalb müssen Fassadenbeschichtungen zur Rissüberbrückung über eine ausreichende Kälteelastizität verfügen. Elastische Fassadenfarben erfüllen bei einer Raumtemperatur von 23 °C ( Normklima Das Normklima ist eine im DIN-Normenausschuss getroffene Vereinbarung für eine Klimakonstellation, die diversen bauphysikalischen Berechnungen zugrunde liegt. Diese ist abgeleitet ) die Rissüberbrückung nach Rissklasse A2 bis A3. Bei Temperaturen unter -10 °C erfüllen die meisten Fassadenfarben nicht einmal die Rissüberbrückung der Rissklasse A1.

Neben den rissüberbrückenden Beschichtungssystemen werden zur anstrichtechnischen Risssanierung von putzbedingten Rissen auch rissfüllende Beschichtungssysteme eingesetzt. Diese haben keine rissüberbrückenden Eigenschaften und werden zum Füllen von beruhigten Rissen (Rissbreitenänderung < 0,1 mm) eingesetzt. In der Regel kommen hierfür hochdiffusionsoffene Siliconharz- oder Silikatfarben zum Einsatz. Mit ihnen werden die Risse nur verschlämmt. In der Regel handelt es sich im gefüllte Farben (auch als Streichputze bezeichnet). Nach der DIN EN 1062 müssen rissfüllende Beschichtungssysteme folgende Anforderungen erfüllen: sd-Wert < 0,14 m und w-Wert < 0,1 kg/(m² h0,5). Werden diese Beschichtungsstoffe auf kalkreichen Putzen eingesetzt, muss neben einem geringen Diffusionswiderstand gegenüber Wasserdampf auch eine ausreichende CO2-Durchlässigkeit sichergestellt werden (sd-Wert < 0,05 m).

Hierbei muss beachtet werden, dass eine bauphysikalische Bewertung nicht nur auf einen Kennwert eines Baustoffes reduziert werden darf, sondern einer ganzheitlichen Betrachtung eines Beschichtungssystems in Verbindung mit dem Untergrund (Bauwerkskonstruktion) bedarf. Eine Fassadenfarbe mit einer hohen Wasseraufnahme sollte nicht als „ungünstig“ eingestuft werden, wenn sie gleichzeitig eine hohe Wasserdampfdiffusionsfähigkeit besitzt und eine schnelle Trocknung begünstigt. Umgekehrt können Fassadenfarben mit einer hohen Wasserdampfdiffusionsfähigkeit nicht automatisch als „günstig“ klassifiziert werden, wenn sie gleichzeitig eine extrem hohe Wasseraufnahme aufweist.

Um ein bauphysikalisches Gleichgewicht sicher zu stellen, gelten seit vielen Jahrzehnten die von Prof. Künzel aufgestellten Obergrenzen für den w-Wert mit max. 0,5 kg/(m² h0,5) und für den sd-Wert mit max. 2 m in der gleichnamigen Fassadenschutztheorie. Außerdem muss das Produkt aus w • sd ≤ 0,1 kg/(m² h0,5) sein.