Die Theorie der „atmenden Außenwand“ geht auf den deutschen Forscher und Chemiker Max Josef von Pettenkofer (1818 bis 1901) zurück, der diese erstmals in seinem Buch „Über den Luftwechsel in Wohnungen“ im Jahre 1858 kurz erwähnte und im Jahr 1877 in einem populären Vortrag in Braunschweig ausführlich vorstellte. Pettenkofer gilt als einer der Begründer der modernen Hygiene Das Wort Hygiene stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „eine der Gesundheit zuträgliche Kunst“. Es ist von . Im Rahmen zahlreicher Messungen über den Luftwechsel mit Kohlendioxid stellte Pettenkofer fest, dass sich nach dem vermeintlichen Abdichten sämtlicher Fugen und Ritzen in den Innenwänden seines Büroraumes und dem Verschließen und Abkleben der Türen und Fenster die Luftwechselrate Der Austausch der Luft pro Stunde wird als Luftwechselrate β bezeichnet. Die Einheit ist 1/h. Eine Luftwechselrate von 1/h bedeutet, weniger als erwartet reduzierte. Pettenkofer schlussfolgerte daraus, dass ein erheblicher Luftaustausch durch die Wände stattfinden muss und nannte diese eine „natürliche Ventilation“ der Außenwände.
Diese Hypothese wurde einem breiten Publikum zugänglich gemacht (u. a. im „Münchener Kalender“ im Jahr 1886) und selbst in Fachkreisen lange widerspruchsfrei hingenommen. Dabei übersah Max Josef von Pettenkofer einen wesentlichen Fakt. In dem Büro befand sich ein Ofen, dessen Kamin nicht abgedichtet wurde. Außerdem ist überliefert, dass auch die Holzbalkendecke über eine gewisse Undichtigkeit verfügte. Daher konnte die Luft über den Kamin und über die Decke entweichen. Der Physiker Ernst Raisch widerlegte bereits im Jahr 1928 die Theorie, die von Pettenkofer aufgestellt hatte und nannte diese eine „falsche Interpretation von Untersuchungsergebnissen“.
Ernst Raisch widerlegte auch eine weitere Theorie durch von Pettenkofer. Pettenkofer, der von seiner Theorie der „atmenden Wände“ überzeugt war, interpretierte auch andere Beobachtungen als Beleg für eine „natürliche Ventilation“ der Außenwände. So nahm er in der Nähe von Außenwänden ein Kältegefühl wahr und begründete dies damit, dass die wärmeleitende Außenwand nicht nur der Raumluft, sondern auch dem in ihrer Nähe befindlichen ( Wärme Wärme (Wärmemenge) ist eine physikalische Größe. In der Thermodynamik ist Wärme eine über Systemgrenzen hinweg transportierte thermische Energie. Wärme ist ausstrahlenden) Körper des Menschen die Wärme entzieht. Er legte dies als weiteren Hinweis aus, dass die Außenwände einen Luftaustausch zulassen und sah in diesen Wärmeverlusten und einseitigen Abkühlungen eine wesentliche Ursache für Erkältungskrankheiten Bei Erkältungskrankheiten handelt es sich um Infektionen der oberen Atemwege, die häufig nach einer Kälteeinwirkung auftreten. Typische Symptome sind Husten, und Rheumatismus. Raisch widerlegte auch diese Theorie und wies Undichtigkeiten nicht nur durch Fugen und Anschlüssen von Bauteilen nach, sondern auch innerhalb der Gebäudehülle durch Konvektion Die Konvektion ist eine Form der Wärmeübertragung, bei der Wärmeenergie zwischen einem gasförmigen oder flüssigen Medium und einem festen Stoff .
Max Josef von Pettenkofer ist für einen weiteren Versuch bekannt, der im Ergebnis falsch interpretiert wurde. Pettenkofer demonstrierte in einem Versuchsaufbau, dass er durch eine wenige Zentimeter große zylindrische und seitlich abgedichtete Probe, eine Kerze auf der Rückseite durch kräftiges Blasen durch einen kleinen Trichter ausblasen konnte. Für ihn war dies ein weiterer Beweis dafür, dass Wände atmen können. Wieder war es der Physiker Erwin Raisch, der durch praxisgerechte Messungen belegen konnte, dass eine massive Wand, die beidseitig verputzt ist, unter üblichen Luftdruckverhältnissen luftdicht ist. Nach Aussage von Raisch gelang von Pettenkofer nur deshalb die Kerze auszublasen, weil er über seine Lunge einen extrem hohen Luftdruck erzeugen konnte, der in Bauteilen nicht vorhanden ist. Heute ist unstrittig, dass ein Lufttransport durch die Baukonstruktion nur bei einem entsprechenden Druckunterschied auf beiden Seiten stattfindet und sich der Luftdruck in Gebäuden von dem der Außenluft kaum unterscheidet, so dass diese Überlegungen komplett vernachlässigt werden können. Das Fraunhofer Institut für Bauphysik Die Bauphysik ist eine Anwendung der Physik und ihrer Gesetzmäßigkeiten auf Bauwerke und Bauwerksteile. Hauptgebiete der Bauphysik sind Wärmeschutz (Wärmeübertragung (IBP) konnte schon in den 1980-er Jahren nachweisen, dass die durch Diffusion Als Diffusion (lat. = ausbreiten) wird ein physikalischer Vorgang des Vermischens bzw. eine durch Konzentrationsunterschiede hervorgerufene, gegenseitige Durchdringung zweier oder transportierte Feuchtigkeitsmenge selbst bei idealisierten Bedingungen nur 1 bis 2% der durch Luftwechsel abgeführten Feuchtigkeitsmenge entspricht und somit für das Feuchtemanagement von Gebäudehüllen vernachlässigt werden kann.
Was Max Josef von Pettenkofer vor fast 150 Jahren als „ Atmende Wände Der Begriff der atmenden Wände ist eine umgangssprachliche wie unzutreffende Wortschöpfung, mit der ursprünglich der Außenwand eine „natürliche Ventilation“ [Pettenkofer] “ beschrieb, wird inzwischen als Wasserdampfdiffusionsfähigkeit und Sorptionsvermögen von Baustoffen bezeichnet. Und obwohl seine Versuchsaufbauten fehlerhaft und seine Interpretationen falsch waren, hält sich der Mythos der atmenden Wände bis heute hartnäckig.